Warum rülpset und furzet ihr nicht?

Theaterstück „Play Luther“ provoziert mit deftigem Humor

Lukas Ullrich (links) und Till Florian Beyerbach (rechts) bauen nach und nach die Kuppel aus Holzdreiecken zusammen. Foto: Meret Köhne
Lukas Ullrich (links) und Till Florian Beyerbach (rechts) bauen nach und nach die Kuppel aus Holzdreiecken zusammen. Foto: Meret Köhne

„Heute Morgen saßen hier noch 430 Schüler. Die hätten uns platt machen können, weil sie einfach in der Mehrheit waren. Aber das haben sie nicht. Sie waren mucksmäuschenstill und haben uns ihre Aufmerksamkeit geschenkt.“ Der Schauspieler Lukas Ullrich berichtet beeindruckt vom Publikum der ersten Aufführung des Theaterstücks „Play Luther“ im Gymnasium Großburgwedel. Zusammen mit seinem Kollegen Till Florian Beyerbach entwickelte er über ein Jahr hinweg das musikalische Theaterstück über das Leben und Werk Martin Luthers. Bodil Reller, Pastorin in der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri, hatte das Duo nach Burgwedel geholt. „Das ist kein Luther-Stück, wie wir es gewohnt sind“, kündigte sie an. Damit sollte die Pastorin Recht behalten.

„Herzlich Willkommen zur Play-Luther-Tanzmusik“, ruft Ullrich dem Publikum zu und schwingt sich ans Klavier. Beyerbach sitzt auf der anderen Seite der Bühne am Schlagzeug und es ertönt eine Pop-Elektro-Version des alten Lutherchorals „Ein feste Burg ist unser Gott“. Zur zweiten Vorstellung am Abend war ein etwas älteres Publikum in das Gymnasium gekommen. Aber auch eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus der Umgebung wollte sich das Stück nochmal anschauen.

„Als sie die Dreiecke hoch gehalten haben, da sollten das die Thesen sein“, stellt einer der Schüler fest. Einiges vom Unterrichtsstoff zur Reformation erkannte die Schülergruppe wieder, auch wenn es gar nicht so einfach war, bei dem hohen Tempo der Szenen zu folgen. Schnelle Dialoge zwischen „Till“ und „Lukas“ als Experten der Kirchengeschichte wechselten sich ab mit Szenen aus dem Leben Luthers. So etwa das unangenehme Gespräch des jungen Martin mit seinem strengen Vater, als er das ihm befohlene Jura-Studium abbrechen will. Als Luthers Vater, verkörpert von Lukas Ullrich, schließlich den Gürtel in seinen Händen strafft, wird nicht nur den Schülern mulmig zumute. Mittelalterliche Erziehungsmethoden und damit auch die Angst vor Strafe kamen den Zuschauern in vielen Momenten des Stückes gruselig nah – beste Voraussetzungen dafür, das Lebensgefühl des jungen Luther nachzuvollziehen.

Am besten gefiel den Schülerinnen und Schülern aber die „Kack-Szene“: Luther sitzt mit Verstopfung auf dem Klosterklo und quält sich mit der Heiligen Schrift auf den Knien ab. „Der Gerechte wird aus Glauben leben“ – dieser Satz aus der Bibel löst endlich seinen Darmkrampf und seine enorme Angst vor einem strafenden Gott. Es ist ein deftiger Humor, den die beiden Schauspieler des Ensembles „Eure Formation“ in ihrem Stück an den Tag legen. Die reformatorische Erkenntnis als Erlösung von einer Verstopfung, das bleibt hängen bei der Jugend, während die älteren Zuschauer etwas verstört dreinblicken.

Nach und nach baut sich das Bühnenbild auf, bestehend aus mehreren Holzdreiecken, die zum Ende eine Kuppel bilden: Sinnbild für die christliche Religion und den Wunsch nach einer sich zwar stetig verändernden, aber dennoch aufeinander aufbauenden und sich selbst tragenden Gemeinschaft. Am Ende steht die alles entscheidende Frage: Was bleibt nach 500 Jahren? Die Gemeinschaft im Glauben hält, wenn man das Holz-Konstrukt, befestigt mit Klammern, so betrachtet. Ist es außerdem die Notwendigkeit einer Kritik am grenzenlosen Kapitalismus? Seit 500 Jahren habe sich doch nichts geändert an der Kapitalvermehrung der Mächtigen, stellen die beiden Schauspieler fest.

Sie fragen: Was ist eigentlich das wahre Vermächtnis Luthers? Sind es die Lieder, die Musikgeschichte schrieben, oder die deutsche Sprache und so manches Sprichwort? Erinnern wir uns an einen „verfettenden Familienvater“, der rülpst und furzt oder an Luther den Judenhasser? All diese Aspekte holt das Stück „Play Luther“ binnen 90 Minuten an die Oberfläche. Eine Antwort auf diese Fragen überlässt es dem Publikum. Sie steckt vielleicht verborgen in Luthers Theologie, die im Text des letzten Liedes zum Ausdruck kommt. „Mit Fried und Freud ich fahr dahin, getrost ist mir mein Herz und Sinn.“ Im Glauben hat Martin Luther seinen Frieden mit Gott und der Welt gemacht und kann schließlich ohne Angst sterben.

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