Um 11.15 Uhr blieben die Uhren stehen

Jugendliche aus St. Marcus Wettmar helfen im Hochwassergebiet

Nils Schrader (von links), Reni Kruckemeyer-Zettel, Targe Szamocki und Jonas Kurtze kamen zur Nachbesprechung in Wettmar zusammen. Foto: Andrea Hesse
Nils Schrader (von links), Reni Kruckemeyer-Zettel, Targe Szamocki und Jonas Kurtze kamen zur Nachbesprechung in Wettmar zusammen. Foto: Andrea Hesse

„Ich habe noch nie in meinem Leben so hart gearbeitet“, sagt Targe Szamocki (15) aus der St.-Marcus-Kirchengemeinde Wettmar. Gemeinsam mit dem ein Jahr jüngeren Nils Schrader und dem 17-jährigen Jakob Albrecht ist er am Wochenende von einem fünftägigen Einsatz im Hochwassergebiet in der Eifel zurückgekehrt und jetzt zu einer Nachbesprechung am Grill ins Pfarrhaus in Wettmar gekommen. Mit dabei sind auch Kirchenvorsteher Jonas Kurtze, der die drei Jungs während ihres Einsatzes begleitete, und Pastorin Reni Kruckemeyer-Zettel, die den Kontakt zu einer von der Flut betroffenen Kirchengemeinde hergestellt hatte.

„Als wir in der Kirche in Schleiden ankamen, standen da nur noch der Altar und die Orgel“, erzählt Targe. In Gesprächen mit Gemeindemitgliedern erfuhren sie später, dass besonders wichtige Gegenstände noch in letzter Minute vor der Flutwelle gerettet worden waren – vor allem Bibeln und die Kirchenbücher. Günter Christmann, ehrenamtlich tätiger Kirchbaumeister in der Gesamtkirchengemeinde Schleidener Tal, wies das kleine Helferteam aus Wettmar ein: Bis zu einer Höhe von etwa einem halben Meter musste der völlig durchweichte Putz im Kirchenschiff abgestemmt werden – eine einfache Aufgabe, wie Nils erklärt. „Der Putz ging ganz leicht runter, er bröckelte fast von alleine ab.“ Deutlich anstrengender war es, die schweren dunklen Marmorfliesen des Fußbodens möglichst heil aufzunehmen und für den Wiedereinbau zu stapeln – zum Glück leistete schließlich ein Handwerker aus der Region Unterstützung, indem er einen kleinen Radlader zur Verfügung stellte.

Targe (von links), Jakob und Nils räumen Schutt aus der Kirche in Schleiden. Foto: Jonas Kurtze
Targe (von links), Jakob und Nils räumen Schutt aus der Kirche in Schleiden. Foto: Jonas Kurtze

Neben der ungewohnt schweren körperlichen Arbeit sind den drei Jugendlichen aus der evangelischen Kirchengemeinde in Wettmar vor allem die menschlichen Begegnungen in Erinnerung geblieben: „Manchen Gemeindemitgliedern sind in der Kirche die Tränen gekommen als sie gesehen haben, dass wir alle Bodenfliesen rausreißen mussten“, erzählt Targe. Nahe gingen der Gruppe auch die Berichte von Menschen, die in der Flut ertrunken waren, und ein handschriftlicher Eintrag in einem Buch, das in der Kirche auslag: „Lieber Gott, bitte gib mir meine Frau zurück.“

Um mit dem Erlebten umgehen zu können, besprach die Gruppe an jedem Abend den zurückliegenden Tag mit Jonas Kurtze; auch Reni Kruckemeyer-Zettel schaltete sich per Telefon zu. Und dann war da ja noch Günter Christmann: „Was er in diesen Tagen geleistet hat und wie er sich um uns gekümmert hat – das war einfach toll“, betont Targe. Auch viele andere Gemeindemitglieder und Pastor Oliver Joswig, den Reni Kruckemeyer-Zettel aus der gemeinsamen Zeit bei den Pfadfindern kennt, zeigten der Gruppe aus Wettmar ihre Dankbarkeit: „Sie haben sich immer wieder bei uns bedankt, uns mit Kaffee, Kuchen und Süßigkeiten versorgt, uns einen Heizlüfter organisiert und uns Geld für belegte Brötchen in die Hand gedrückt.“ Für die Nächte wurden Matte und Schlafsack im Gemeindehaus in Hellenthal ausgerollt; geduscht wurde im Pfarrhaus, die Verpflegung kam aus dem benachbarten Altenheim.

Ungewohnt schwere Arbeit: Targe löst Marmorfliesen vom Boden und stapelt sie für den Wiedereinbau. Foto: Jonas Kurtze
Ungewohnt schwere Arbeit: Targe löst Marmorfliesen vom Boden und stapelt sie für den Wiedereinbau. Foto: Jonas Kurtze

„Jungs, nun macht mal’n bisschen langsamer“ – auch an diese Äußerung Günter Christmanns erinnern sich Nils und Targe. Schnell hatten sie den Ehrgeiz entwickelt, die für den Tag selbst gewählte Aufgabe auch bis zum Abend zu erledigen, und machten dabei eine besondere Entdeckung: „Alle Uhren, die wir in diesen Tagen gesehen haben, waren um 11.15 Uhr stehen geblieben; das war die Zeit, zu der der Strom ausgefallen war.“  

„Für uns war es gruselig zu sehen, wie gigantisch die Schuttberge sind, die dort überall vor den Häusern liegen“, erzählt Targe. Dennoch: „Es war richtig, dorthin zu fahren und zu helfen“, sagen die drei Jugendlichen ebenso wie Jonas Kurtze. „Wir haben Strom, fließendes Wasser und Toiletten wieder schätzen gelernt.“ Froh sind sie auch über die Unterstützung, die sie schon vor ihrer Abreise erfuhren: Die Kommune Burgwedel stellte einen Kleinbus für die knapp 400 Kilometer weite Fahrt in die Eifel zur Verfügung, örtliche Geschäfte sorgten für Werkzeug und Arbeitskleidung, der Kirchenkreis stellte das notwendige Geld bereit. Und vielleicht ergibt sich aus dem spontanen Hilfseinsatz ja auch eine längerfristige Verbindung: „Wir sind eingeladen, zur Wiedereinweihung der Kirchen im Schleidener Tal zu kommen“, erzählt Nils. Pastor Joswig war am Tag der Rückreise übrigens erst beruhigt, nachdem seine Wettmarer Kollegin ihm mitgeteilt hatte, dass die kleine Gruppe gut zu Hause angekommen war.

Zurück