Türen- und Fensterausschnitte für das kirchliche Haus

Stephanie Springer wirbt für Beteiligung an der Verfassungsreform

Der Verfassungsausschuss erarbeitete den Entwurf für die neue Kirchenverfassung. Foto: Jens Schulze
Der Verfassungsausschuss erarbeitete den Entwurf für die neue Kirchenverfassung. Foto: Jens Schulze

„Es ist uns ein echtes Anliegen, den partizipativen Prozess voranzubringen – ich möchte Sie neugierig machen, Sie anfixen.“ Mit diesen klaren Worten leitete Dr. Stephanie Springer, Präsidentin des hannoverschen Landeskirchenamtes, ihren Vortrag zur Reform der Kirchenverfassung vor dem Kirchenkreistag ein. Im Verfassungsausschuss habe es zusammen mit verschiedenen Spezialisten eine intensive Vorarbeit gegeben; nun seien Gremien und auch Einzelpersonen aufgefordert, Stellung zu nehmen, sich zum Gesamtentwurf oder zu einzelnen Absätzen oder Themenfeldern zu äußern.

„Kirchenrecht ist nicht Teil des Heilsgeschehens – die Kirchenordnung hat den einzigen Zweck, Kirche so zu gestalten, dass sie den bestmöglichen Rahmen für die Verkündigung des Evangeliums bietet“, ordnete die Juristin die Arbeit am Verfassungsentwurf ein. Erste Überlegungen dazu habe es im Frühsommer 2014 in der Landessynode gegeben; im November 2015 folgte die Einsetzung des Verfassungsausschusses, im Oktober 2016 eine Expertenanhörung und im Mai 2017 die Vorlage des Entwurfes in der Synode. Für den Wunsch, die Verfassung zu überarbeiten, nannte Springer eine Reihe von Gründen: Die Sprache sei nicht mehr zeitgemäß und nicht einladend, einzelne Bestimmungen seien veraltet, der Verfassungstext habe in Teilen die Verbindung zur kirchlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit verloren, frühere theologische Kontroversen seien mittlerweile geklärt, einzelne Aussage der Verfassung von 1965 stünden im Widerspruch zu Inhalt und Leitvorstellungen anderer Gesetze, es bestehe Klärungsbedarf für das Gefüge kirchlicher Organisationen.

132 Artikel umfasst die hannoversche Kirchenverfassung bislang, der aktuelle Entwurf kommt mit 85 Artikeln aus. Manches, das beispielsweise schon in der Kirchengemeindeordnung geregelt werde, sei rausgeworfen worden, erklärte Stephanie Springer; an anderer Stelle seien aber auch neue Artikel eingefügt worden. Neu ist beispielsweise der Artikel 2, der die gleichberechtigte Teilhabe aller Glaubenden am kirchlichen Leben festschreibt und sich gegen jede Form von Diskriminierung wendet.

Neu aufgenommen wurde auch Artikel 3, der auf mögliche neue Formen des kirchlichen Lebens verweist – auch in nicht rechtlich verfasster Form. „Auch wenn die institutionelle Form den Vorteil der Verlässlichkeit hat, sollte sie ergänzt werden durch bewegliche Formen“, erklärte die Präsidentin des Landeskirchenamtes. „Diese Formen wollen wir nicht im Einzelnen regeln, erkennen sie aber an.“ So könne die klassische Ortsgemeinde ergänzt werden durch die Personalgemeinde, die sich nach anderen Kriterien – etwa Gruppenzugehörigkeit oder besondere Lebenssituation – zusammensetzt. Die Schaffung von Personalgemeinden werde durch die neue Verfassung ermöglicht, allerdings nicht geregelt – gesetzliche Regelungen müssten folgen. Als Übergang von einem „Aggregatzustand“ in einen anderen beschrieb Stephanie Springer diesen Prozess: Eine nicht verfasste Gruppe, die in loser Form miteinander in Kontakt sei, könne sich verfestigen zu einem rechtlich verfassten Aggregatzustand, etwa zu einer Gemeinde.

Fritz Garms, Kirchenvorsteher aus Fuhrberg, äußerte zu diesem Teil der Verfassungsreform deutliche Bedenken: „Kann jetzt jeder, dem es bei uns nicht mehr gefällt, eine eigene Gemeinde gründen?“, stellte er als Szenario in den Raum. „Wenn es Personalgemeinden und Gemeindeprojekte auf Zeit gibt – wohin geht dann die Kirchensteuer? Macht diese Entwicklung nicht die bisherige Parochie zur Verliererin?“, lauteten weitere Fragen an die Referentin. „Wir graben einander nicht das Wasser ab, erkennen aber an, dass für manche Menschen andere, neue Formen nötig sind“, lautete deren Antwort. Darüber werde noch ausführlich zu diskutieren sein.

Auch auf einige weitere Artikel wies Stephanie Springer im Verlauf ihres Vortrages vor dem Kirchenkreistag hin: Artikel 10 benennt ausdrücklich eine einladende Kirche, die sich allen Menschen zuwendet; Artikel 4, der die Beziehungen zu anderen Kirchen und Religionen behandelt, betont das Bemühen um Dialog, gemeinsame Verantwortung und kritische Auseinandersetzung sowie die klare Absage an alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen. „Diese deutliche Aussage wird von vielen jüdischen Menschen dringend gewünscht“, betonte Stephanie Springer.

 „Natürlich sind wir politisch“, erklärte die Referentin zum neu eingefügten Artikel 5, der das Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft beschreibt. „Entsprechend ihrem Öffentlichkeitsauftrag nimmt die Landeskirche im Interesse aller Menschen Aufgaben des gesellschaftlichen Lebens wahr und beteiligt sich am politischen Diskurs“, heißt es dazu in Absatz 2.

Nach weiteren Hinweisen auf einzelne Artikel, die unter anderem die Umbenennung des Kirchenkreistages in Kirchenkreissynode vorsehen, fasste Springer ihre Ausführungen in einem knappen, schlüssigen Satz zusammen: „Wir haben nicht versucht, irgendwelche zukünftigen Entwicklungen von Kirche vorwegzunehmen. Wir wollen Möglichkeiten erhalten, Klarheit im Einzelnen schaffen und uns dabei Offenheit für zukünftige Vielfalt bewahren. Wir wollen Fenster- und Türausschnitte in unser kirchliches Haus einbauen.“

Die Referentin schloss mit einem Hinweis auf eine vergleichende Synopse, die die bestehende Verfassung und den aktuellen Entwurf einander gegenüberstellt und Kommentierungen ermöglicht. Noch bis zum 31. Dezember 2017 sind diese Kommentierungen auf www.kirchenverfassung2020.de möglich; ebenso sind hier die bislang abgegebenen Kommentare einsehbar. Im kommenden Jahr wird es dann ein Auswertungswochenende mit Delegierten aus den Kirchenkreisen geben; hier können weitere Anregungen eingebracht werden. Zum 1. Januar 2020 soll die neue Verfassung in Kraft treten.

„Vieles, was man bislang noch nicht so ganz verstanden hatte, wurde bei ihren Worten klarer“, bedankte sich der KKT-Vorsitzende Friedrich Engeling abschließend bei der Präsidentin des Landeskirchenamtes.

Zurück