Transmissionsriemen für die politische Kultur

Konvent des Kirchenkreises reist nach Berlin

Bis ins Vorzimmer des Bundespräsidenten gelangten die Besucherinnen und Besucher aus dem Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen.
Bis ins Vorzimmer des Bundespräsidenten gelangten die Besucherinnen und Besucher aus dem Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen.

„Eine aktive Kirche, die sich politisch einmischt, gefällt mir“: Wolfgang Wieland, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, ist überzeugt davon, dass Kirche die Aufgabe hat, in bestimmten Politikfeldern Position zu beziehen. Der Berliner Rechtsanwalt sieht darüber hinaus eine deutliche Übereinstimmung der Themen von evangelischer Kirche und grüner Politik, etwa was die Inhalte der Friedensbewegung und die Bewahrung der Schöpfung angeht. Dennoch: „Die Kirche tut gut daran, sich von keiner Partei vereinnahmen zu lassen“ – auch davon ist der Grüne der ersten Stunde überzeugt.

Das Gespräch mit Wolfgang Wieland im Paul-Löbe-Haus war Teil des Besuchsprogramms, das der Konvent des Kirchenkreises Burgwedel-Langenhagen in der vergangenen Woche in Berlin absolvierte. Wenige Tage vor der Bundestagswahl war die Hauptstadt Ziel von 30 Pastorinnen und Pastoren, Kirchenmusikern, Diakoninnen und Diakonen, die sich diesmal verstärkt politischen Themen widmeten. Regelmäßig reist der Konvent einmal jährlich für drei oder vier Tage an einen interessanten Ort irgendwo in Deutschland, um sich mit örtlichen Aktiven in Kirche, Gesellschaft und Politik auszutauschen.


Besuchermagnet in Berlin: Schloss Bellevue, Amtssitz des Bundespräsidenten. Foto: A. Hesse

An einem der zentralen Plätze in Berlin fand das zweite Gespräch des Besuchsprogramms statt: im Haus des Bevollmächtigten des Rates der EKD am Gendarmenmarkt, einem neoklassizistischen Plattenbau, der zu DDR-Zeiten die Parteizentrale der Ost-CDU beherbergte. In Anbetracht der Entwicklung des Immobilienmarktes in Berlin sei es eine richtige Entscheidung gewesen, das Haus direkt neben dem Französischen Dom nach der Wende für eine stolze Summe zu erwerben, erklärte OKR Joachim Offel, künftiger Stellvertreter des Bevollmächtigten Martin Dutzmann. Offel nahm sich Zeit für ein ausführliches Gespräch am riesigen ovalen Tisch im Ratssaal des EKD-Sitzes am Gendarmenmarkt  und erläuterte die drei Aufgaben seines Hauses: die seelsorgliche Begleitung der Akteure im politischen Berlin, die sozialanwaltliche Tätigkeit als Stimme derjenigen Menschen, die keine Stimme haben oder deren Stimme überhört wird, und nicht zuletzt die Kirchendiplomatie im Sinne der institutionellen Interessen der evangelischen Kirche. Diese Interessenvertretung setze sich bewusst vom Wirtschaftslobbyismus ab, betonte Joachim Offel – sie baue auf die persönliche Ansprache einzelner Abgeordneter und das thematisch orientierte Gespräch mit den Parteispitzen. „Wir sind eine Art Transmissionsriemen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur politischen Kultur“, beschrieb Offel seine Tätigkeit, die er sich auch an der Basis wünscht: „Es ist ein wichtiger Beitrag, wenn Sie den politischen Diskurs in Ihre Gemeinden tragen.“ Eine Einengung der Perspektive sei dabei sicher hinderlich, so der Oberkirchenrat: „Es gibt inhaltliche Schnittmengen mit allen Parteien, auch mit der Linkspartei, etwa was die Asylpolitik angeht.“


Kurze Pause in der Lobby des Paul-Löbe-Hauses, bevor es weiterging in den Reichstag. Foto: A. Hesse

David Gil, Leiter des Bundespräsidialamtes und damit ranghöchster deutscher Staatssekretär, begrüßte die Gäste aus Burgwedel-Langenhagen am zweiten Tag in seinem Amt, nachdem diese zuvor eine Führung durch das benachbarte Schloss Bellevue genossen hatten. Horst Wieshuber, Theologe und Referent für Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bundespräsidialamt, übernahm den inhaltlichen Part des Gesprächs: Er schilderte das Vorsortieren von Wünschen, die in großer Zahl an den Bundespräsidenten gerichtet werden, als den umfangreichsten Posten seiner Tätigkeit; daneben nähmen Strategieprozesse zur Identifizierung anstehender Themenfelder einigen Raum ein. „Das Amt des Bundespräsidenten ist sicher das politische Amt, das am stärksten von der Persönlichkeit des Inhabers geprägt wird“, stellte Wieshuber fest. Auch Joachim Gauck drücke diesem Amt seinen ganz persönlichen Stempel auf: „Man merkt im menschlichen Umgang deutlich, dass der Bundespräsident Pfarrer ist.“ Dennoch wahre Gauck bewusst Distanz zu explizit kirchlichen Themen; er wolle das Wort vom „Pastor der Nation“ nicht noch zusätzlich befördern. 

Mit einem Abendmahlsgottesdienst und einem herzlichen Dank an die Organisatoren Rainer Müller-Jödicke und Falk Wook ging die dreitägige Reise des Konvents in der St.-Matthäus-Kirche in Berlin-Mitte zu Ende.  Gemeinsam mit einem Oboisten der Berliner Philharmoniker gestaltete Kantor Arne Hallmann an der Orgel diesen Gottesdienst musikalisch – in der schlichten Matthäus-Kirche mit ihrer hervorragenden Akustik ein besonderer Genuss. Zuvor hatte Christhard-Georg Neubert, Direktor der Stiftung St. Matthäus, über das erfolgreiche Engagement seiner Stiftung im Bereich Bildende Kunst, Literatur und Musik berichtet: Die Kulturstiftung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz engagiert sich seit Jahren dafür, dass Kirche wegkommt von der „Hungertuch-Ästhetik“, vielmehr wieder als Kulturträger von hohem Rang wahrgenommen wird – für einen Ort in der neuen Mitte Berlins sicher ein faszinierendes Konzept, als Vorbild für die Gemeinden nördlich der niedersächsischen Landeshauptstadt aber nur sehr bedingt tauglich.  

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