Schatten im Frühling
Hans-Günter Schoppa, Diplom-Psychologe, Ev. Lebensberatungsstelle in Langenhagen

An einem frühlingshaften Maitag unterwegs in Hannover – nicht auf dem Fahrrad, wie es sich ökologischerweise gehören würde, sondern mit der Üstra, der Eile wegen, denn auch ich gehöre zu den deutschen Normalbürgern, die sich im Arbeitsleben so von Termin zu Termin hetzen. Ich schaue und höre mich (mit allen Sinnen) in der Stadtbahn um: Wieder einmal fühle ich mich in der Minderheit. Fremdländisch geborene Menschen um mich herum, laute Stimmen aus Ländern, wo es sicher akustisch große Entfernungen zu überwinden gilt – und deutliche Zeichen von Armut (ja, da sind auch ein paar Deutsche zu sehen): viele Plastiktüten, viel zerrissene Kleidung, viel Schweiß, auch sichtbar geschundene und über- oder unterernährte Körper. Alles nicht besonders schön. Und ich spüre und weiß: Hier ist mal wieder innere Stellungnahme erforderlich. Eine Seite in mir will sich abwenden, wegschauen, aussteigen, schimpfen … auch etwas Angst ist dabei. Und dann ist da die andere Seite: verstehen, akzeptieren, aushalten, gerecht und sozial und unterstützend sein wollen – Herz und Vernunft sind gefordert.
Anders als mancher andere ringe ich mich doch immer wieder zur zweiten Variante durch, mehr mit Vernunft als mit Herz, aber immerhin. Denn ich weiß: Die Aufnahme und Integration von Einwanderern und Flüchtlingen ist sowieso unvermeidlich mit der Globalisierung (eigentlich hätten sie schon viel früher anklopfen können), sie ist christlich und humanitär, gerecht und vielleicht eines Tages ja sogar wirtschaftlich und bevölkerungspolitisch sinnvoll. Ob wir das alles so schaffen, weiß ich noch nicht, aber den Versuch ist es wert, auch wenn ich dann doch denke: morgen wieder mit dem Fahrrad durch die (deutschen) Kleingärten.
Es bleibt eine große Aufgabe: Verdrängen der einen wie der anderen Position von Skepsis und Optimismus bringt wenig, sondern nur das geduldige Suchen nach hinreichend guten Lösungen für die unvermeidlichen Herausforderungen. Und: Wir brauchen freundliches Verständnis für uns selbst – nur wenn es erlaubt ist, vor Not und Herausforderung auch einmal die Augen verschließen zu können, uns ablenken und wegträumen zu können, sind wir dann wieder bereit, hinzusehen und zu handeln und uns der Welt, wie sie nun einmal ist, zu stellen.