Neues riskieren
Isabell Schulz-Grave, Pastorin der Ev-luth. Emmausgemeinde Langenhagen

Die Augen sind ein wenig feucht vom Abschied. Sie ist heute das erste Mal allein hier. Alles ist fremd und neu. Die anderen scheinen sich schon zu kennen. Sie kennt keinen. Heute ist Hannas erster Tag allein im neuen Kindergarten.
Kurz dreht sie sich noch einmal um. Die letzten Male hat die Mutter immer noch draußen vor der Tür gesessen und hat gesagt: „Keine Angst, ich bin gleich wieder da. Du wirst viel Spaß haben!“ Aber heute ist alles anders. „Bis bald!“, hat die Mutter beim Gehen gesagt und nun ist sie weg.
Unsicher schaut das kleine Mädchen sich in der Gruppe um. „Morgenkreis“ nennen sie das Spiel, das nun folgt. Jeder soll seinen Namen sagen, aber die kann sie sich sowieso nicht alle merken und jetzt singen sie auch noch ein Lied, das Hanna nicht kennt. Dabei fällt ihr ein, dass Mama ihr etwas mitgegeben hat: eine grüne Brotdose. Da ist bestimmt was Leckeres drin. Endlich ist Frühstück. Plötzlich sitzt ein kleines Mädchen neben ihr, macht ihre Brotdose auf und sagt: „Magst du auch Erdbeeren?“ Und Hanna greift zu. Ein zartes Lächeln huscht über ihr Gesicht, sie liebt Erdbeeren und die Dose ist randvoll. Am Ende hat sie ihre eigene Brotdose ganz vergessen und fragt mit roten Lippen: „Wollen wir was zusammen spielen?“
Neues riskieren – ohne den Blick zurück. Mit diesen Worten hat die Evangelische Kirche in Deutschland die dritte Woche der Fastenzeit überschrieben, die in dieser Woche am Mittwoch begann. Neues riskieren – ohne den Blick zurück. Wie schwer das ist, zeigt schon die kleine Hanna, die ihren ersten Tag allein im Kindergarten verbringt. Leichter wird es, wenn einem einer die Hand reicht. Gott reicht sie uns, an jedem Tag neu und dann fällt der erste neue Schritt auch gar nicht mehr so schwer. Wir können Dinge entdecken, die wir nie für möglich gehalten hätten, egal wie alt wir sind.
Der Schriftsteller Christian Morgenstern hat einmal gesagt: „Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Macht euch nur von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden zu einem neuen Leben ein.“
Als Hanna am Nachmittag von ihrer Mutter abgeholt wird, ruft sie mitten aus dem Spiel heraus: „Ich komme gleich, Mama! Ist der Tag schon vorbei? Es war ganz toll hier!“
Es lohnt sich Neues zu riskieren.