„Häufig fehlen Kindern die Worte“
Evangelische Kita in Mellendorf organisiert die Sprachförderung neu

Iride Vietmeyer ist die Freude anzumerken: Die Erzieherin der evangelischen Kita St. Georg in Mellendorf zeigt die neue Erzählwerkstatt, die jetzt in der Einrichtung an der Krausenstraße in einem eigenen Raum eingerichtet wurde. Zwei gemütliche Ohrensessel in Kindergröße stehen darin und ein kuscheliges Sofa, auf dem Boden liegt ein dicker weicher Teppich und der Blick geht durch große Fenster in den Garten. Vor allem aber steht ein niedriges Regal mit Geschichten- und Sachbüchern für Kinder an der Wand, obenauf stehen sechs grüne Kinderrucksäcke, die Rucksackbibliothek.
„Wir erleben häufig, dass Kindern ganz einfach die Worte fehlen, um das, was sie sagen möchten, angemessen auszudrücken“, sagt Iride Vietmeyer. Um dem entgegen zu wirken, hat die evangelische Kita in den vergangenen Monaten ihr Sprachförderkonzept überarbeitet und das Grundschulprogramm „Fit in Deutsch“ übernommen und an die Bedürfnisse jüngerer Kinder angepasst. In den Blick genommen werden dabei gleichermaßen Kinder aus deutschen wie aus Familien mit Migrationshintergrund: „In beiden Gruppen erleben wir, dass Kindern die Worte fehlen“, sagt Vietmeyer.
Mit der Erzählwerkstatt hat die Kita einen Raum geschaffen, in dem Kinder eine ruhige Atmosphäre vorfinden. Alleine oder mit höchsten vier Kindern dürfen sie hier sitzen, sich Bilderbücher anschauen und sich über die Geschichten, die sie dabei entdecken, unterhalten. Auf ganz einfache Art wird dabei die Zahl der Kinder im Raum begrenzt: Jedes lässt seine Schuhe vor der Tür stehen und bei vier Paaren wissen alle anderen, dass sie warten müssen.
Erstmals hat die Kita St. Georg in diesem Jahr ein Verfahren zur Feststellung des Sprachstandes bei Kindern, die in diesem und dem nächsten Jahr zur Schule kommen, durchgeführt. Kann ein Kind erzählte oder vorgelesene Inhalte verstehen? Kann es Alltagssituationen sprachlich meistern? Kann es klare Fragen stellen und sich bei Bedarf Hilfe holen? Üblicherweise wird diese Einschätzung etwa 16 Monate bevor ein Kind in die Schule kommt gemacht: „So bleibt noch ausreichend Zeit, vor der Einschulung Hilfe von Logopäd*innen oder Ergotherapeut*innen zu organisieren“, sagt Vietmeyer. Natürlich treffen die Eltern alle Entscheidungen, die Kita aber kann die Anregung dazu geben.
„Wir sind Pädagoginnen, keine Therapeutinnen“, sagt Iride Vietmeyer, die sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Manuela Menzel um die Sprachförderung kümmert. Zwei Mal in der Woche macht sie es sich gemeinsam mit Kindern für jeweils 45 Minuten in der Erzählwerkstatt für einen spielerischen Sprachförderunterricht gemütlich: „Das funktioniert nur, wenn wir alle Spaß daran haben“, ist sie überzeugt. Wichtig sind Erfolgserlebnisse für die Kinder, etwa dann, wenn ihre ganze Gruppe über einen Reim, den sie gefunden haben, lacht. „‘Das Gürteltier trinkt gern ein Bier‘, hat ein Kind neulich gedichtet“, erzählt Iride Vietmeyer. „Wir alle haben lange darüber gelacht.“
Gearbeitet wird mit Bilderbüchern, vorgelesenen Geschichten und Kindersachbüchern – und mit der Rucksackbibliothek. In jedem der Rucksäcke stecken zwei Geschichtenbücher und ein Sachbuch zu jeweils einem Thema; nach Voranmeldung dürfen Kinder jeweils einen Rucksack über das Wochenende mit nach Hause nehmen. Sie unterschreiben dafür, den Rucksack samt Inhalt vollständig wieder in die Kita zurückzubringen – und Vietmeyer ist froh darüber, wie gut das funktioniert. Während der Woche stehen die Bücher dann in der Erzählwerkstatt zur Verfügung. Anregungen für den Erwerb von Büchern kommen von der Stiftung „Lesen“; Unterstützung von der Buchhandlung von Hirschheydt in Mellendorf. Maximal sechs Kinder aus jedem Jahrgang können an der Sprachförderung teilnehmen.
„Ich bin total froh, dass wir das hier machen können“, sagt Iride Vietmeyer. Die Möglichkeit, sich ausdrücken zu können, ebne Kindern den Weg ins Leben – da sei es einfach schade, wenn ihnen die richtigen Worte fehlten.