Zurück in die Zukunft
Pastor Falk Wook, Evangelisch - lutherischen Kirchengemeinde Zum Guten Hirten, Godshorn
Das Jahr des Reformationsjubiläums erinnert uns an die Zeit und ihre Ereignisse vor 500 Jahren. Es waren Veränderungen und Umwälzungen, die unsere Welt bis heute bestimmen – und zwar religiös, kirchlich, aber auch politisch. Ohne Reformation hätte es keine evangelische Kirche, aber auch keine Aufklärung gegeben, keine französische Revolution, keine amerikanische Unabhängigkeitserklärung – keine Welt, wie wir sie heute kennen. Sicherlich: Es hätte eine andere „moderne“ Entwicklung geben. Trotzdem, so wie die Welt in religiöser, kirchlicher, humanistischer, politischer, wirtschaftlicher Ausprägung unser Leben bestimmt, hat dies seine Grundlagen in diesem Reformationsgeschehen vor 500 Jahren.
Deshalb wird der Reformation auch von staatlicher und wirtschaftlicher Seite gedacht. Ein solches Erinnern oder Gedenken reicht aber nicht aus. Auch nicht eine Fokussierung auf Martin Luther allein. Er ist fraglos geschichtlich die Kristallisationsfigur. Aber es gab neben ihm weitere wichtige Reformatoren, wie Zwingli und Calvin, und Personen, die die Reformation vorangebracht haben. Die Reformation ist ein Prozess und kein einmaliges Ereignis. Sie geschieht immerwährend – und auch Martin Luther konnte nicht überschauen, wie weitreichend dieser Veränderungsprozess ging, den er ausgelöste. Zunächst hatte er ja „nur“ auf die Bibel verwiesen und die Deutungshoheit von Papst und Kirche bezüglich der Auslegung angezweifelt. Sein Anspruch nach „Bibellesen für alle“ aber gefährdete die Autorität der Mächtigen, sein Anprangern des Ablasshandels die Refinanzierung von der Ausgaben von Kirche und Staat. Aber seine Kritik förderte den Widerstand der Fürsten gegen die Deckelung von Oben. Sie sahen ihre Zeit gekommen, mit Martin Luthers Gedanken und Ideen das Joch der Herrschaft abzuschütteln. Das fest gefügte System war erschüttert - leider verbunden mit vielen Kämpfen eröffnete sich daraus die „neue Welt“. Dies ist sicherlich gut zu wissen und in der Rückschau des Reformationsjubiläums im Blick zu haben.
Aber es ist nicht alles. Luther und die anderen Reformatoren haben zwar auch den Blick zurück gerichtet - in Grundlagen der Bibel und damit die Grundlagen von Kirche und des damaligen Staatswesen. Sie brauchten diese Grundlagen um ihre Anfragen nach Gerechtigkeit und lebenswertem Leben gut zu begründen. Trotzdem weisen gerade die Reformatoren und ihre Anhänger zielgerichtet in die Zukunft. Lesen-Lernen, also Bildung für alle bedeutet nicht nur, die Bibel lesen zu können, sondern auch der Schrift und der Sprache mächtig zu werden. Bildung war die Grundlage der Aufklärung und der Entwicklung von Demokratie. Und Luthers Aussage: „Kirche ist eine unablässig zu reformierende“, die sich sicherlich auch auf den Staat beziehen lässt, bedeutet, dass wir nicht nur zurück, sondern mit der Reformation im Rückspiegel und der Gegenwart als zu reformierende stellen sollen. Reformation ist nicht nur das, was vor 500 Jahren geschah, sondern etwas was wir heute weiterentwickeln müssen. Das gilt vor allem in Bezug auf unsere mitmenschliche und gottgefälliges Zusammenleben, aber auch hinsichtlich unserer Demokratie.