„Holt euch den Klimastreit wieder in die Kirche!“
Nachhaltigkeitsökonom beim Konvent der Diakoninnen und Diakone

„Wir müssen uns grundsätzlich von der Idee des unbegrenzten Wachstums verabschieden“, forderte Nachhaltigkeitsökonom Marius Rommel jetzt beim Konvent der Diakoninnen und Diakone des Sprengels Hannover. Die Klimakrise, die eher eine „Menschheitskrise“ sei, könne nur durch eine neue, radikal nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise gestoppt werden. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Siegen und Mitbegründer des ZOE-Instituts für zukunftsfähige Ökonomien hielt auf Einladung von Regionalbischöfin Petra Bahr den Hauptvortrag bei dem jährlichen Treffen der Diakoninnen und Diakone des Sprengels Hannover, zu dem der Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen gehört.
Der nicht nachhaltige Lebensstil sei zur Normalität in unserer Gesellschaft geworden, sagte Rommel und forderte dazu auf, „mentale Autobahnen“ zu verlassen. Es gebe zwar unter Wissenschaftler*innen und auch in der Bevölkerung einen breiten Konsens über das Vorhandensein der Umweltkrise, umstritten sei jedoch, wie sie gelöst werden könne. Für Rommel ist die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht zukunftsfähig; statt des ständigen, unbegrenzten Wachstums setzt er auf eine „Postwachstumsökonomie“. Diese orientiere sich nicht an einem „Von allem immer mehr“, sondern daran, dass es für alle genug gibt.
Dies erfordere jedoch eine zuweilen auch schmerzhafte Veränderung des persönlichen Lebensstandards, mahnte der Wissenschaftler und stellte ein „Reduktionsprogramm“ für echte Nachhaltigkeit vor: beispielsweise ein kreatives Weglassen unter dem Stichwort Suffizienz (möglichst geringer Rohstoff- und Energieverbrauch), bis das „Niveau des Genug“ erreicht sei. Leitfragen seien dabei, wie viel Wohnraum jeder Einzelne wirklich braucht, wie viel Fleisch oder wie viele Fernreisen. Weiter gehe es um Subsistenz im Sinne einer modernen Selbstversorgung: „Sharing Economy“ bedeute, Produkte zu teilen: Nicht jeder müsse persönlich eine hochwertige Bohrmaschine besitzen, sagte Rommel. Die Regionalversorgung mit Lebensmitteln und nachhaltig produzierende Industrien gehörten ebenso zu einer zukunftsfähigen Ökonomie wie eine Begrenzung von Unternehmensgrößen und -macht, die Regulierung der Finanzmärkte, eine Modernisierung des Bildungssystems und die Besteuerung von Ressourcenentnahmen.
„Der notwendige gesellschaftliche Wandel wird von der Zivilgesellschaft und nicht von der Politik ausgehen“, ist Rommel überzeugt. Dabei sieht er eine Vorreiterrolle von Kirche und Diakonie, die sich seit langem für eine nachhaltige Lebensweise einsetzten, oft wenig öffentlich bemerkt. „Doch jetzt ist die Jugend bereit dazu“, sagte Rommel. „Die Kirche kann sich durch dieses Thema neu erfinden und die Jugend mitreißen. Holt euch den Klimastreit wieder in die Kirche!“, ermutigte er sein Publikum.
Konkrete Ideen zur Umsetzung eines nachhaltigen Lebensstils lieferten verschiedene Workshops wie „Verpackungsfreies Einkaufen“, „Ökologischer Fußabdruck“, „Foodsharing“, „Klimafreundliche Mobilität“ oder „Repair-Cafés“. Regionalbischöfin Petra Bahr würdigte den Vortrag Rommels als einen konstruktiven Beitrag, der weniger das Szenario des unvermeidlichen Untergangs der Welt als die Möglichkeiten des eigenen Beitrags zur Rettung der gemeinsamen Erde betont habe. Alltagstaugliche Impulse für einen nachhaltigen Lebensstil, Austausch, Gebet und Gemeinschaft hätten das Treffen der Diakoninnen und Diakone ausgezeichnet. Text: Sabine Dörfel