Auch jetzt an der Seite der Menschen
Ein Brief von Landesbischof Ralf Meister und dem Bischofsrat
Liebe Schwestern und Brüder,
die Corona-Pandemie hat zu einem weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens geführt, auch in unserer Kirche. Das berührt die Gemeinden und trifft ganz besonders alle, die für das gottesdienstliche Leben in unserer Kirche verantwortlich sind. Am vergangenen Sonntag läuteten überall in der Landeskirche die Glocken, doch die Talare und Noten blieben im Schrank. Vielen ist es schwergefallen, Gottesdienste abzusagen. Gerade in Krisenzeiten war Kirche immer an der Seite der Menschen. Sie will es jetzt auch sein. Keine Frage, gerade um der Schwachen und Gefährdeten willen ist es richtig, neben vielem auch Gottesdienste ausfallen zu lassen. Eine geistliche Anfechtung bleibt es gleichwohl.
„Der Mensch denkt, Gott lenkt, sagte man in gläubigen Zeiten. Das sind Tage, die Demut lehren.“ So begann in diesen Tagen das Heute-Journal. Allemal für uns in der Kirche ist es eine geistliche Aufgabe, diese Ausnahmesituation zu deuten. Für die meisten von uns ist es das erste Mal, dass eine Krankheit nicht nur das individuelle Leben beeinträchtigt, sondern auch allgemein als Bedrohung erfahren wird. Früher waren Erfahrungen von Seuchen und hoher Lebensgefährdung an der Tagesordnung. Durch die Fortschritte der Medizin ist diese Erfahrung weitgehend zurückgedrängt worden. Diese Pandemie bringt eine an Machbarkeit gewöhnte Gesellschaft an ihre Grenzen. Das ist eine Demutserfahrung für uns. Krankheit und Endlichkeit gehören zur gefallenen Schöpfung, ebenso wie Ohnmacht und Sorge.
Verstärkt wird die neue Krisenerfahrung durch besondere Kennzeichen unserer digitalisierten und globalisierten Welt: Viren können per Flugzeug binnen Stunden einmal um den Globus reisen, und genau das ist geschehen. Außerdem hören wir über die Medien und das Internet zeitnah von allen Entwicklungen und erleben in den sozialen Netzwerken die Verbreitung von Nachrichten (und auch Fake-news) und deren Kommentierung in Echtzeit. Das verunsichert, andererseits ermöglichen die sozialen Netzwerke auch neue Formen der Gemeinschaft.
Umso wichtiger ist es, dass wir als Christinnen und Christen nüchtern und besonnen die Lage in ihrer Widersprüchlichkeit wahrnehmen: Den meisten von uns geht es gesundheitlich gut. Zugleich stellt es viele Familien vor große Herausforderungen, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind. Menschen im Gesundheitssektor sind bis an die Grenze ihrer Kräfte gefordert. Kleine Unternehmen und Betriebe, Freiberufliche und Künstlerinnen fürchten um ihre Existenz. Die Folgen für unsere Volkswirtschaft sind noch nicht absehbar.
Viele gehen persönlich gelassen mit der Situation um, andere sind voller Sorge oder auch tiefer Angst. Manchen fällt der Stillstand des öffentlichen Lebens auf die Seele. Andere sind ernsthaft erkrankt. Die Erfahrung von Unberechenbarkeit und Unverfügbar im Vertrauen auf Christus auszuhalten, auch Ratlosigkeit bis zur Gottesfinsternis, ist ein Kennzeichen des christlichen Glaubens.
Diese Zeit ist für uns eine geistliche und eine praktische Aufgabe. Viele sind längst im Krisenmodus. In Windeseile arbeiten Gemeinden landauf und landab an alternativen Möglichkeiten, wie Menschen einander nahe sein können, wenn physische Distanz das Gebot der Stunde ist. Gottesdienste ohne Gemeinde werden online übertragen. Postkarten und Predigten, Hausandachten und Videobotschaften verbreiten sich weit über die eng verbundenen Kirchenmitglieder hinaus. Auf Twitter und Facebook sammeln sich Fürbittgruppen, Musiker streamen Wohnzimmerkonzerte. Die Kreativität kennt keine Landeskirchengrenzen. Not lehrt eben nicht nur beten. Sie macht auch erfinderisch.
Wir wollen ganz besonders in den kommenden Wochen eine seelsorgliche Kirche sein. Es entstehen Telefon-Hotlines, die Chatseelsorge weitet ihre Präsenz aus, das bewährte Angebot der Telefonseelsorge wird verstärkt nachgefragt. Ja, alle können viel tun – für den Zusammenhalt und geistliche Gemeinschaft, gegen Angst und Einsamkeit.
Wir nehmen in diesen Tagen in unserer Landeskirche eine Haltung des geistlichen Zusammenhalts, der Besonnenheit und der Solidarität wahr. In hoher Achtung für Ihren Einsatz danken wir Ihnen allen herzlich.
Wir bitten Euch: Seid füreinander da. Ruft die an, von denen ihr nichts hört. Mahnt die zur Ruhe, die aus dem Planen von Alternativprogrammen nicht herausfinden. Bleibt als Geschwister verbunden. Seid freundlich miteinander, wenn die Nerven zwischendurch blank liegen.
Wir sind in diesen Tagen besonders zur Fürbitte gerufen. Für diejenigen, die in Forschung und Medizin sehr hart arbeiten, für alle, die für Sicherheit und Versorgung da sind, für alle, die Entscheidungen fällen müssen, für die, die sich in ihrer Existenz gefährdet sehen, für Erkrankte und Besorgte.
Schließlich: Wir können in diesem Jahr nicht wie gewohnt Passion und Ostern im Gottesdienst feiern. Wir sollten diese Wochen gerade deshalb geistlich begehen, als Zeit, in der wir Gottes Teilhabe am Leiden und Leben des Menschen in allen seinen Tiefen vergegenwärtigen. Gottes Macht führt über alle Erfahrungen von Krankheit und Tod hinaus. Diese österliche Gewissheit mag uns Zuversicht und Kraft für jeden neuen Tag geben, so ungewiss er am Morgen auch sein mag. Diese Erfahrung wünschen wir Ihnen.
Bleiben Sie behütet!
Ihre
Ralf Meister, Petra Bahr, Hans Christian Brandy, Eckhard Gorka, Detlef Klahr, Birgit Klostermeier, Dieter Rathing